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    Bahnhof Feldkirch, 2021
    Dietmar Walser, Hohenems

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    Carl Zuckmayer, 1920
    BArch_146-2005-0008, Bundesarchiv

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    1998 von Harald Gfader gestaltetes Mahnmal mit Zitat von Carl Zuckmayer am Bahnhof Feldkirch, 2021
    Dietmar Walser, Hohenems

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    Bahnhofsvorplatz Feldkirch, 2021
    Dietmar Walser, Hohenems



41    Carl Zuckmayer> 15. März 1938


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41 Carl Zuckmayer

Massenflucht nach dem Anschluss: Carl Zuckmayer wird kontrolliert
Bahnhof Feldkirch, 15. März 1938

Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich fliehen tausende aus Wien. Juden und auch politische Gegner der Nazis versuchen zumeist mit dem Zug über Feldkirch, Liechtenstein und Buchs die rettende Schweiz zu erreichen. Noch hat die Schweiz keinen Visumzwang eingeführt. Unter den Flüchtlingen ist, so wie Walter Mehring und Gina Kaus, Jura Soyfer und Hertha Pauli, auch der deutsche Schriftsteller Carl Zuckmayer.
1933 war er nach Österreich emigriert und seine Werke wurden im Deutschen Reich verbrannt. Am 15. März 1938 gelingt es ihm in letzter Sekunde zu fliehen, während ein nationalsozialistisches Rollkommando erst sein Haus in Henndorf bei Salzburg, dann seine Wohnung in Wien stürmt, um ihn festzunehmen. Als „Halbjude“ erregt der in Deutschland einst so populäre Zuckmayer die besondere Wut der Nazis. In seiner Autobiografie „Als wärs ein Stück von mir“ beschreibt er seine Ankunft in Feldkirch auf dem Weg nach Zürich.

 „Als der Zug langsam in Feldkirch einfuhr und man den grellen Kegel der Scheinwerfer sah, hatte ich wenig Hoffnung. Ich empfand eigentlich nichts und dachte in diesem Moment auch nichts. Eine kalte Spannung hatte mich erfüllt. Aber alle Instinkte waren auf Rettung konzentriert. Ich denke heute: ob es dem Fuchs so zumute ist, wenn er die Meute hört?

‚Alles raus, mit Gepäck! Der Zug wird geräumt.‘ Träger!‘ rief ich. ‚Selber schleppen‘, schrie eine Stimme, ‚es gibt keine Träger für euch.‘ Man war, als Insasse dieses Zugs, bereits nur noch in der Mehrzahl vorhanden. […] Ich wurde über den langen Perron des Bahnhofs geführt, während mein Gepäck zurückblieb und der Gründlichkeit anheimfiel. Ganz am Ende des Bahnhofs, wo es stockdunkel wurde, waren einige Baracken sichtbar. Es roch knoblauchartig, nach feuchtem Karbid, und der kreidige Schein einer Fahrradlampe schwankte über dem Barackeneingang.

In der Baracke saß ein blonder magerer Mensch in der Uniform der SS hinter einem Tisch, er trug eine Stahlbrille und sah überanstrengt und unterernährt aus. Vor dem Tisch stand ein Mann mit aufgeschlagenem Mantelkragen und gesenktem Kopf, der offenbar gerade verhört worden war.
‚Ins Revier zum Abtransport‘, hörte ich die Stimme des Beamten, ‚wenn überfüllt ins Ortsgefängnis. Der nächste Herr bitte.‘ […]

‚Carl Zuckmayer‘, sagte er. – ‚Aha.‘
Er starrte in den Paß, blätterte darin herum, sein Gesicht wurde nachdenklich. Immer wieder starrte er auf die erste Seite. Ich merkte, daß ihn die fünfjährige Gültigkeit irritierte: Juden bekamen damals nur noch Pässe für sechs Monate, wenn überhaupt. Meiner war früher im deutschen Konsulat in Salzburg ausgestellt worden, wo man korrekt verfuhr und mir wohlwollte.“

Zuckmayer gelingt es, mit unerschrockenem Auftreten und dem Verweis auf seine Kriegsdekorationen den jungen SS-Mann zu beeindrucken. Und bekommt die Erlaubnis weiterzufahren. Doch noch muss er in der Bahnhofswirtschaft warten.

„Der Tag dämmerte bereits, mein Puls klopfte mit dem Ticken der Uhr. Wenn man nur schon raus wäre. Jede Sekunde kann irgendeine neue Wendung bringen. Jede Ablösung eines Grenzbeamten eine neue Verdächtigung, die ganze Komödie war umsonst.“

Schließlich fährt sein Zug.

„Der Himmel war glasgrün und wolkenlos, die Sonne flimmerte auf dem Firnschnee, als der Zug die Grenze passierte. Die Schweizer Zollbeamten kamen herein und stießen freundliche Rachenlaute aus. Alles war vorbei. Ich saß in einem Zug, und er ging nicht in Richtung Dachau.“[1]


[1] Carl Zuckmayer, Als wär’s ein Stück von mir. Horen der Freundschaft. Frankfurt/Main 1966; Frankfurt/Main 1994, S. 103ff.

41 Carl Zuckmayer

Massenflucht nach dem Anschluss: Carl Zuckmayer wird kontrolliert
Bahnhof Feldkirch, 15. März 1938

Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich fliehen tausende aus Wien. Juden und auch politische Gegner der Nazis versuchen zumeist mit dem Zug über Feldkirch, Liechtenstein und Buchs die rettende Schweiz zu erreichen. Noch hat die Schweiz keinen Visumzwang eingeführt. Unter den Flüchtlingen ist, so wie Walter Mehring und Gina Kaus, Jura Soyfer und Hertha Pauli, auch der deutsche Schriftsteller Carl Zuckmayer.
1933 war er nach Österreich emigriert und seine Werke wurden im Deutschen Reich verbrannt. Am 15. März 1938 gelingt es ihm in letzter Sekunde zu fliehen, während ein nationalsozialistisches Rollkommando erst sein Haus in Henndorf bei Salzburg, dann seine Wohnung in Wien stürmt, um ihn festzunehmen. Als „Halbjude“ erregt der in Deutschland einst so populäre Zuckmayer die besondere Wut der Nazis. In seiner Autobiografie „Als wärs ein Stück von mir“ beschreibt er seine Ankunft in Feldkirch auf dem Weg nach Zürich.

 „Als der Zug langsam in Feldkirch einfuhr und man den grellen Kegel der Scheinwerfer sah, hatte ich wenig Hoffnung. Ich empfand eigentlich nichts und dachte in diesem Moment auch nichts. Eine kalte Spannung hatte mich erfüllt. Aber alle Instinkte waren auf Rettung konzentriert. Ich denke heute: ob es dem Fuchs so zumute ist, wenn er die Meute hört?

‚Alles raus, mit Gepäck! Der Zug wird geräumt.‘ Träger!‘ rief ich. ‚Selber schleppen‘, schrie eine Stimme, ‚es gibt keine Träger für euch.‘ Man war, als Insasse dieses Zugs, bereits nur noch in der Mehrzahl vorhanden. […] Ich wurde über den langen Perron des Bahnhofs geführt, während mein Gepäck zurückblieb und der Gründlichkeit anheimfiel. Ganz am Ende des Bahnhofs, wo es stockdunkel wurde, waren einige Baracken sichtbar. Es roch knoblauchartig, nach feuchtem Karbid, und der kreidige Schein einer Fahrradlampe schwankte über dem Barackeneingang.

In der Baracke saß ein blonder magerer Mensch in der Uniform der SS hinter einem Tisch, er trug eine Stahlbrille und sah überanstrengt und unterernährt aus. Vor dem Tisch stand ein Mann mit aufgeschlagenem Mantelkragen und gesenktem Kopf, der offenbar gerade verhört worden war.
‚Ins Revier zum Abtransport‘, hörte ich die Stimme des Beamten, ‚wenn überfüllt ins Ortsgefängnis. Der nächste Herr bitte.‘ […]

‚Carl Zuckmayer‘, sagte er. – ‚Aha.‘
Er starrte in den Paß, blätterte darin herum, sein Gesicht wurde nachdenklich. Immer wieder starrte er auf die erste Seite. Ich merkte, daß ihn die fünfjährige Gültigkeit irritierte: Juden bekamen damals nur noch Pässe für sechs Monate, wenn überhaupt. Meiner war früher im deutschen Konsulat in Salzburg ausgestellt worden, wo man korrekt verfuhr und mir wohlwollte.“

Zuckmayer gelingt es, mit unerschrockenem Auftreten und dem Verweis auf seine Kriegsdekorationen den jungen SS-Mann zu beeindrucken. Und bekommt die Erlaubnis weiterzufahren. Doch noch muss er in der Bahnhofswirtschaft warten.

„Der Tag dämmerte bereits, mein Puls klopfte mit dem Ticken der Uhr. Wenn man nur schon raus wäre. Jede Sekunde kann irgendeine neue Wendung bringen. Jede Ablösung eines Grenzbeamten eine neue Verdächtigung, die ganze Komödie war umsonst.“

Schließlich fährt sein Zug.

„Der Himmel war glasgrün und wolkenlos, die Sonne flimmerte auf dem Firnschnee, als der Zug die Grenze passierte. Die Schweizer Zollbeamten kamen herein und stießen freundliche Rachenlaute aus. Alles war vorbei. Ich saß in einem Zug, und er ging nicht in Richtung Dachau.“[1]


[1] Carl Zuckmayer, Als wär’s ein Stück von mir. Horen der Freundschaft. Frankfurt/Main 1966; Frankfurt/Main 1994, S. 103ff.

Kurzbiografien der genannten Personen

Carl Zuckmayer geboren 27.12.1896 in Nackenheim, gestorben 18.1.1977 in Visp. Der Schriftsteller feiert 1925 seinen ersten Erfolg mit der Komödie Der fröhliche Weinberg. Als Dramatiker (Der Hauptmann von Köpenick, Des Teufels General) gehörte er vor 1933 wie auch nach 1945 zu den meistgespielten deutschen Autoren. 1933 ging er ins österreichische Exil, von dort floh er am 15.3.1938 in letzter Minute über Feldkirch in die Schweiz. Es folgte 1939 die Emigration in die USA und 1946 die Rückkehr nach Deutschland. 1957 ließ er sich endgültig in der Schweiz im Wallis nieder.

Gina Kaus geboren als Regina Wiener 21.10.1893 in Wien, gestorben 23.12.1985 in Los Angeles. Die Schriftstellerin schrieb Dramen, Novellen und Romane, aber auch für die Feuilletons zahlreicher Zeitungen und gehörte in Wien zum Intellektuellenkreis um Franz Blei. Zwischen 1924 und 1933 lebte sie in Berlin, dann in London und wieder in Wien, von wo sie am 14.3.1938 über Feldkirch in die Schweiz floh. 1939 folgte die Emigration in die USA, wo sie sich in Hollywood niederließ.

Walter Mehring geboren 29.4.1896 in Berlin, gestorben 3.10.1981 in Zürich. In Berlin war Mehring mit seinen Couplets und Chansontexten auf Kabarettbühnen und ebenso als Dramatiker erfolgreich (Der Kaufmann von Berlin). 1933 entging er seiner Verhaftung durch die Flucht nach Paris. Im März 1938 floh er ebenfalls im letzten Moment aus Wien über Feldkirch in die Schweiz, im Juni 1940 aus Paris und im Februar 1941 aus Marseille in die USA, wo er zuerst in Hollywood, dann unter existentiellen Nöten in New York lebte. 1953 kehrte er nach Europa zurück und lebte in Ascona, München und Zürich.

Hertha Pauli geboren 4.9.1906 in Wien, gestorben 9.2.1973 in New York. Die Schauspielerin, Autorin und Journalistin spielte unter Max Reinhardt in Berlin, bevor sie 1933 nach Wien emigrierte. Dort veröffentlichte sie biografische Romane und gab die Österreichische Korrespondenz heraus. Im März 1938 emigrierte sie über Feldkirch in die Schweiz und von dort weiter nach Paris. Von dort floh sie 1940 über die Pyrenäen und Lissabon in die USA, wo sie nun vor allem als Jugendbuchautorin arbeitete.