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    Alter Rhein bei Altach, 2021
    Dietmar Walser, Hohenems

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    Tobias Feurstein, undatiert
    Harald Walser (Hrsg.): Die NS-Opfer der Kummenberg-Gemeinden. Bregenz 2019, S. 83.

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    Ehemaliger Gasthof "Zur Hohen Kugel" in Götzis, 2022
    Dietmar Walser, Hohenems

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    Gasthof "zur Hohen Kugel", undatiert
    Gemeindearchiv Altach



31    Tobias Feurstein> 31. Mai 1944


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31 Tobias Feurstein

Ertrunken im Rhein? Der rätselhafte Tod des Gastwirts und Fluchthelfers Tobias Feurstein
Götzis, 31. Mai 1944 

„Ertrinkungstod im Rhein. Der Gastwirt Tobias Feurstein zur Hohen Kugel in Götzis sollte wegen staatsfeindlichen Äußerungen festgenommen und zur Verfügung der Gestapo in Bregenz in das Polizeigefängnis in Bregenz eingeliefert werden. Unmittelbar vor erfolgter Festnahme ergriff dieser die Flucht und wollte schwimmend über den Rhein nach der Schweiz gelangen, wobei er den Ertrinkungstod gefunden hat. Die Leiche wurde einige Wochen später in der Harderbucht geborgen und in Götzis beigesetzt.“[1]

Dieser nachträglich vorgenommene Eintrag in die Chronik des Gendarmeriepostens Götzis enthält womöglich nicht die ganze Wahrheit über den Tod des Götzner Gastwirts Tobias Feurstein. Doch wird sich das Rätsel um seinen Tod wohl nie mehr aufklären lassen.

Feurstein war einer der wenigen engagierten Kommunisten in Vorarlberg. Im Ersten Weltkrieg überlebte er den Fronteinsatz, bis er in Galizien am 1. Juli 1915 in russische Kriegsgefangenschaft geriet. In der Ortschaft Penza, 550 Kilometer südlich von Moskau, bekam er eine Arbeit als Koch zugewiesen und erlebte schließlich Revolution und den Terror der Gegenrevolution. In seine Heimat kehrte er mit revolutionärem Enthusiasmus zurück, ohne jedes Vertrauen in die politischen Kräfte, die Österreich in den Krieg getrieben hatten.

1926 kauft er mit seiner wie er selbst aus Egg stammenden Frau Alice einen abgebrannten Gasthof in Götzis: „Zur Hohen Kugel“. Gemeinsam bauen sie die Brandruine wieder auf, und richten den Gastbetrieb neu ein. Daneben ist er auch als Dekorationsmaler tätig. Und sie führen eine bescheidene Landwirtschaft.

Ab Oktober 1936 wird Vorarlberg Schauplatz massenhafter „illegaler“ Grenzüberschreitungen. Tausende von Österreichern, Polen, Rumänen, Tschechen und Ungarn gehen über den Rhein, durch die Schweiz und Frankreich nach Spanien, um sich den Internationalen Brigaden anzuschließen – den Freiwilligenverbänden, die versuchen die Spanische Republik gegen die Putschisten des faschistischen Generals Franco zu verteidigen. Rund 40 Personen sind laut einem Gendarmeriebericht 1937 an der Organisation dieser Grenzübertritte beteiligt. Darunter auch Tobias Feurstein und sein Sohn Armin.

Feurstein bleibt im Visier der Polizei. Nach einem Erhebungsbericht des Bezirksgerichts Feldkirch vom 9. Februar 1938 glaube Feurstein „an das kommunistische Paradies in Rußland“ und höre „mit Vorliebe den kommunistischen Geheimsender im Radio“, erzähle „seinen Gästen über kommunistische Ideale in Rußland“ und sei daher schon „1934 und 1936 wegen kommunistischer Redensarten vom hiesigen Posten zur Anzeige gebracht“[2] worden.

Anfang 1938 werden Tobias und Armin Feurstein angeklagt, „wegen der unbefugten Werbung für die Kriegsdienste in Spanien auf kommunistischer Seite“. Tobias Feurstein erhält eine Arreststrafe von drei Monaten, sein Sohn von zwei Wochen.

Doch bald wird Österreich an das Deutsche Reich angeschlossen. Feurstein, inzwischen wieder freigekommen, gehört zu den wenigen Götzner Bürgern, die bei der anschließenden Volksabstimmung mit „Nein“ stimmen. Nun sind es Juden und politische Flüchtlinge, die den Weg über den Rhein suchen. Und widerständige Menschen wie Tobias Feurstein oder der Sticker Edmund Fleisch in Altach werden nun zu Schleppern, zu Menschenschmugglern.  

Feursteins Haltung zum neuen Regime ist kein Geheimnis. Im November 1942 verbringt er drei Wochen in Gestapo-Haft. Auch seine Frau und seine Kinder werden zunehmend Repressalien ausgesetzt. Seine Tochter Sinaida wird an ihrem Arbeitsplatz in der Firma Huber von einer fanatischen Nationalsozialistin schikaniert. Feurstein beschwert sich darüber und erntet wiederum Denunziationen und eine Anzeige.

Am 31. Mai 1944 kommt ein Gendarm vom Posten Götzis in seinen Gasthof um ihn zu verhaften. Doch es gelingt Feurstein zu fliehen. Er zieht sich um, dunkle Kleidung, wie sich seine Tochter erinnern wird, verschwindet rechtzeitig durch die Hintertür und entkommt auf dem Fahrrad in Richtung Schweiz. Dann verliert sich seine Spur.

Noch am gleichen Tag erkundigen sich seine Töchter Sinaida und Irma beim Gendarmerieposten nach dem Verbleib des Vaters. Er sei im Rhein ertrunken, bekommen sie zur Antwort. Im Polizeirevier sehen sie seine Geldtasche, seinen Wehrpass, seine Kleider und sein Fahrrad. Die Leiche des angeblich ertrunkenen Vaters aber ist verschwunden. Erst am 28. Juni heißt es, man habe seinen Körper in Hard am Bodensee gefunden. In der Nacht wird der hölzerne Sarg ins Haus getragen, aber ein Gestapobeamter namens Stock bewacht ihn und verweigert der Familie den Wunsch, den Vater noch einmal zu sehen. „Der Sarg bleibt geschlossen!“ bescheidet er barsch.

Feurstein, oder vielleicht auch nur ein leerer Sarg, wird auf dem Götzner Friedhof bestattet. Ein Schweizer Zöllner erzählt nach 1945, man habe Tobias Feurstein gefangen und abgeführt. Als Alice Feurstein 1962 stirbt und das Grab für ihre Beerdigung geöffnet wird, finden sich, so die Überlieferung, keine Knochen. Was davon Legende ist, und was Realität, wird offen bleiben.[3]


[1] VLA, Erste Chronik des Gendarmeriepostens Götzis, 1900-1999.

[2] DÖW, Akt Nummern 19512/5, 19512/13; 19512/34, 19512/44; Straferkenntnis Tobias Feurstein, Götzis, kommunistische Betätigung.

[3] Berchtold, Wolfgang: Tobias Feurstein – Gastwirt „Zur Hohen Kugel“. In: Walser, Harald (Hrsg.): Die NS-Opfer der Kummenberg-Gemeinden. Bregenz 2019, S. 82-95.

 


Tobias Feuerstein

31 Tobias Feurstein

Ertrunken im Rhein? Der rätselhafte Tod des Gastwirts und Fluchthelfers Tobias Feurstein
Götzis, 31. Mai 1944 

„Ertrinkungstod im Rhein. Der Gastwirt Tobias Feurstein zur Hohen Kugel in Götzis sollte wegen staatsfeindlichen Äußerungen festgenommen und zur Verfügung der Gestapo in Bregenz in das Polizeigefängnis in Bregenz eingeliefert werden. Unmittelbar vor erfolgter Festnahme ergriff dieser die Flucht und wollte schwimmend über den Rhein nach der Schweiz gelangen, wobei er den Ertrinkungstod gefunden hat. Die Leiche wurde einige Wochen später in der Harderbucht geborgen und in Götzis beigesetzt.“[1]

Dieser nachträglich vorgenommene Eintrag in die Chronik des Gendarmeriepostens Götzis enthält womöglich nicht die ganze Wahrheit über den Tod des Götzner Gastwirts Tobias Feurstein. Doch wird sich das Rätsel um seinen Tod wohl nie mehr aufklären lassen.

Feurstein war einer der wenigen engagierten Kommunisten in Vorarlberg. Im Ersten Weltkrieg überlebte er den Fronteinsatz, bis er in Galizien am 1. Juli 1915 in russische Kriegsgefangenschaft geriet. In der Ortschaft Penza, 550 Kilometer südlich von Moskau, bekam er eine Arbeit als Koch zugewiesen und erlebte schließlich Revolution und den Terror der Gegenrevolution. In seine Heimat kehrte er mit revolutionärem Enthusiasmus zurück, ohne jedes Vertrauen in die politischen Kräfte, die Österreich in den Krieg getrieben hatten.

1926 kauft er mit seiner wie er selbst aus Egg stammenden Frau Alice einen abgebrannten Gasthof in Götzis: „Zur Hohen Kugel“. Gemeinsam bauen sie die Brandruine wieder auf, und richten den Gastbetrieb neu ein. Daneben ist er auch als Dekorationsmaler tätig. Und sie führen eine bescheidene Landwirtschaft.

Ab Oktober 1936 wird Vorarlberg Schauplatz massenhafter „illegaler“ Grenzüberschreitungen. Tausende von Österreichern, Polen, Rumänen, Tschechen und Ungarn gehen über den Rhein, durch die Schweiz und Frankreich nach Spanien, um sich den Internationalen Brigaden anzuschließen – den Freiwilligenverbänden, die versuchen die Spanische Republik gegen die Putschisten des faschistischen Generals Franco zu verteidigen. Rund 40 Personen sind laut einem Gendarmeriebericht 1937 an der Organisation dieser Grenzübertritte beteiligt. Darunter auch Tobias Feurstein und sein Sohn Armin.

Feurstein bleibt im Visier der Polizei. Nach einem Erhebungsbericht des Bezirksgerichts Feldkirch vom 9. Februar 1938 glaube Feurstein „an das kommunistische Paradies in Rußland“ und höre „mit Vorliebe den kommunistischen Geheimsender im Radio“, erzähle „seinen Gästen über kommunistische Ideale in Rußland“ und sei daher schon „1934 und 1936 wegen kommunistischer Redensarten vom hiesigen Posten zur Anzeige gebracht“[2] worden.

Anfang 1938 werden Tobias und Armin Feurstein angeklagt, „wegen der unbefugten Werbung für die Kriegsdienste in Spanien auf kommunistischer Seite“. Tobias Feurstein erhält eine Arreststrafe von drei Monaten, sein Sohn von zwei Wochen.

Doch bald wird Österreich an das Deutsche Reich angeschlossen. Feurstein, inzwischen wieder freigekommen, gehört zu den wenigen Götzner Bürgern, die bei der anschließenden Volksabstimmung mit „Nein“ stimmen. Nun sind es Juden und politische Flüchtlinge, die den Weg über den Rhein suchen. Und widerständige Menschen wie Tobias Feurstein oder der Sticker Edmund Fleisch in Altach werden nun zu Schleppern, zu Menschenschmugglern.  

Feursteins Haltung zum neuen Regime ist kein Geheimnis. Im November 1942 verbringt er drei Wochen in Gestapo-Haft. Auch seine Frau und seine Kinder werden zunehmend Repressalien ausgesetzt. Seine Tochter Sinaida wird an ihrem Arbeitsplatz in der Firma Huber von einer fanatischen Nationalsozialistin schikaniert. Feurstein beschwert sich darüber und erntet wiederum Denunziationen und eine Anzeige.

Am 31. Mai 1944 kommt ein Gendarm vom Posten Götzis in seinen Gasthof um ihn zu verhaften. Doch es gelingt Feurstein zu fliehen. Er zieht sich um, dunkle Kleidung, wie sich seine Tochter erinnern wird, verschwindet rechtzeitig durch die Hintertür und entkommt auf dem Fahrrad in Richtung Schweiz. Dann verliert sich seine Spur.

Noch am gleichen Tag erkundigen sich seine Töchter Sinaida und Irma beim Gendarmerieposten nach dem Verbleib des Vaters. Er sei im Rhein ertrunken, bekommen sie zur Antwort. Im Polizeirevier sehen sie seine Geldtasche, seinen Wehrpass, seine Kleider und sein Fahrrad. Die Leiche des angeblich ertrunkenen Vaters aber ist verschwunden. Erst am 28. Juni heißt es, man habe seinen Körper in Hard am Bodensee gefunden. In der Nacht wird der hölzerne Sarg ins Haus getragen, aber ein Gestapobeamter namens Stock bewacht ihn und verweigert der Familie den Wunsch, den Vater noch einmal zu sehen. „Der Sarg bleibt geschlossen!“ bescheidet er barsch.

Feurstein, oder vielleicht auch nur ein leerer Sarg, wird auf dem Götzner Friedhof bestattet. Ein Schweizer Zöllner erzählt nach 1945, man habe Tobias Feurstein gefangen und abgeführt. Als Alice Feurstein 1962 stirbt und das Grab für ihre Beerdigung geöffnet wird, finden sich, so die Überlieferung, keine Knochen. Was davon Legende ist, und was Realität, wird offen bleiben.[3]


[1] VLA, Erste Chronik des Gendarmeriepostens Götzis, 1900-1999.

[2] DÖW, Akt Nummern 19512/5, 19512/13; 19512/34, 19512/44; Straferkenntnis Tobias Feurstein, Götzis, kommunistische Betätigung.

[3] Berchtold, Wolfgang: Tobias Feurstein – Gastwirt „Zur Hohen Kugel“. In: Walser, Harald (Hrsg.): Die NS-Opfer der Kummenberg-Gemeinden. Bregenz 2019, S. 82-95.

 


Tobias Feuerstein

Kurzbiografien der genannten Personen

Tobias Feurstein geboren 11.3.1893 in Egg, gestorben vermutlich am 31.5.1944. Im ersten Weltkrieg in russische Kriegsgefangenschaft geraten, gehörte er zu den wenigen aktiven Kommunisten in Vorarlberg. 1926 erwarb er mit seiner Frau Alice in Götzis einen abgebrannten Gasthof, die „Hohe Kugel“, die sie wieder aufbauten. 1936 war er am Schmuggel von Spanienkämpfern in die Schweiz beteiligt, für die er wie auch sein Sohn Armin 1938 eine Arreststrafe erhielt. Später war er als Fluchthelfer für verfolgte Jüdinnen und Juden aktiv. Am 31.5.1944 versucht er sich, durch Flucht seiner Verhaftung zu entziehen. Dabei kam er unter ungeklärten Umständen ums Leben.