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    Eisenbahnbrücke zwischen Lustenau und St. Margrethen, 2021
    Dietmar Walser, Hohenems

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    Rudolf Kasztner, um 1945
    geni.com

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    Eisenbahnbrücke zwischen Lustenau und St. Margrethen, um 1940
    Foto: Hermann Hämmerle, Historisches Archiv Lustenau

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    Foto: Hermann Hämmerle, Historisches Archiv Lustenau



12    Rudolf Kasztner> 21. August 1944


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12 Rudolf Kasztner

Auf der Brücke über dem Rhein: Rudolf Kasztner verhandelt mit der SS
Lustenau – St. Margrethen, 21. August 1944

Auf der Rheinbrücke über die Grenze zwischen Lustenau und St. Margrethen verhandeln Rudolf Kasztner, der Vertreter des ungarischen Rettungskomitees, des Vaadat Ezra VeHatzala aus Budapest, und Saly Mayer, der ehemalige Vorsitzende des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes, mit dem SS-Wirtschaftsbeauftragten in Ungarn, Kurt Becher. Becher war zuvor im Rahmen der sogenannten „Partisanenbekämpfung“ in der Sowjetunion an der Ermordung von 14.000 Juden beteiligt gewesen. Seit Monaten versucht nun – angesichts der nahenden deutschen Niederlage – das Rettungskomitee einen verzweifelten Poker um das Leben der ungarischen Juden. Die meisten Juden aus der ungarischen Provinz sind seit dem Frühjahr 1944 nach Auschwitz deportiert und ermordet worden. Noch aber sind tausende Juden in Budapest am Leben. Außerdem hat die SS 1684 Juden aus Ungarn als Pfand nach Bergen-Belsen geschafft, oder mit den Worten Adolf Eichmanns „auf Eis gelegt“, und versucht nun, mit diesen Menschenleben ein Geschäft zu machen. Kasztner und Mayer geben vor, sie könnten aus den USA Industriegüter und Rohstoffe herbeischaffen, während Becher die Lieferung von 10.000 Lastwagen verlangt. Kasztner und Mayer haben keinerlei Mandat von den Amerikanern dazu, und sie wissen nicht, ob Becher nur mit ihnen spielt, oder womöglich schon versucht, seine Lage für die Zeit nach einem verlorenen Krieg für sich und andere hochrangige SS-Leute zu verbessern. 318 Menschen werden bald darauf über St. Margrethen in die Schweiz entlassen.

Noch im November 1944 gingen diese Gespräche weiter. Von individuellen Lösegeldern war die Rede, und von Überweisungen auf Schweizer Konten. Am 7. Dezember kamen 1368 jüdische KZ-Häftlinge aus Bergen-Belsen in St. Margrethen an.

Kurt Becher wurde nach dem 2. Weltkrieg nicht belangt und baute sich in Bremen wie auch in Ungarn erfolgreiche Handelsfirmen auf. 1950 schrieb er an Saly Mayers Witwe kurz nach dessen Tod einen „Kondolenzbrief“ und stellte Forderungen:

„Herr Mayer sagte mir, dass er für meine vier Kinder aus dem Fonds des Joint in einem Safe einen Beitrag von sfrs. 20.000 deponiert habe ... als Beweis des Dankes für unsere damalige humanitäre Arbeit.“

Jeanne Mayer antwortete darauf nicht.[1]


[1] Hanna Zweig-Strauss, Saly Mayer (1882-1950): ein Retter jüdischen Lebens während des Holocaust. Köln/Weimar/Wien 2007, S. 228 und 355.

12 Rudolf Kasztner

Auf der Brücke über dem Rhein: Rudolf Kasztner verhandelt mit der SS
Lustenau – St. Margrethen, 21. August 1944

Auf der Rheinbrücke über die Grenze zwischen Lustenau und St. Margrethen verhandeln Rudolf Kasztner, der Vertreter des ungarischen Rettungskomitees, des Vaadat Ezra VeHatzala aus Budapest, und Saly Mayer, der ehemalige Vorsitzende des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes, mit dem SS-Wirtschaftsbeauftragten in Ungarn, Kurt Becher. Becher war zuvor im Rahmen der sogenannten „Partisanenbekämpfung“ in der Sowjetunion an der Ermordung von 14.000 Juden beteiligt gewesen. Seit Monaten versucht nun – angesichts der nahenden deutschen Niederlage – das Rettungskomitee einen verzweifelten Poker um das Leben der ungarischen Juden. Die meisten Juden aus der ungarischen Provinz sind seit dem Frühjahr 1944 nach Auschwitz deportiert und ermordet worden. Noch aber sind tausende Juden in Budapest am Leben. Außerdem hat die SS 1684 Juden aus Ungarn als Pfand nach Bergen-Belsen geschafft, oder mit den Worten Adolf Eichmanns „auf Eis gelegt“, und versucht nun, mit diesen Menschenleben ein Geschäft zu machen. Kasztner und Mayer geben vor, sie könnten aus den USA Industriegüter und Rohstoffe herbeischaffen, während Becher die Lieferung von 10.000 Lastwagen verlangt. Kasztner und Mayer haben keinerlei Mandat von den Amerikanern dazu, und sie wissen nicht, ob Becher nur mit ihnen spielt, oder womöglich schon versucht, seine Lage für die Zeit nach einem verlorenen Krieg für sich und andere hochrangige SS-Leute zu verbessern. 318 Menschen werden bald darauf über St. Margrethen in die Schweiz entlassen.

Noch im November 1944 gingen diese Gespräche weiter. Von individuellen Lösegeldern war die Rede, und von Überweisungen auf Schweizer Konten. Am 7. Dezember kamen 1368 jüdische KZ-Häftlinge aus Bergen-Belsen in St. Margrethen an.

Kurt Becher wurde nach dem 2. Weltkrieg nicht belangt und baute sich in Bremen wie auch in Ungarn erfolgreiche Handelsfirmen auf. 1950 schrieb er an Saly Mayers Witwe kurz nach dessen Tod einen „Kondolenzbrief“ und stellte Forderungen:

„Herr Mayer sagte mir, dass er für meine vier Kinder aus dem Fonds des Joint in einem Safe einen Beitrag von sfrs. 20.000 deponiert habe ... als Beweis des Dankes für unsere damalige humanitäre Arbeit.“

Jeanne Mayer antwortete darauf nicht.[1]


[1] Hanna Zweig-Strauss, Saly Mayer (1882-1950): ein Retter jüdischen Lebens während des Holocaust. Köln/Weimar/Wien 2007, S. 228 und 355.

Kurzbiografien der genannten Personen

Rudolf (Rezső) Kasztner geboren 1906 in Kolozsvár, gestorben 15.3.1957 in Tel Aviv. Kasztner arbeitete als Journalist und Jurist in Ungarn. 1943 wurde er stellvertretender Vorsitzender des „Komitees für Hilfe und Rettung in Budapest“, das sich 1944 bemühte, die Deportationen aus Ungarn durch Verhandlungen mit den Nationalsozialisten zu stoppen. In den 1950er Jahren wurde Kasztner in Israel der „Kollaboration“ beschuldigt und nach heftigen öffentlichen Auseinandersetzungen und einem Gerichtsprozess auf offener Straße erschossen.

Saly Mayer geboren 3.6.1882 in Basel, gestorben 30.7.1950 in St. Moritz. Mayer führte in St. Gallen ein Textilunternehmen und wurde für die FDP ins Stadtparlament gewählt. Von 1936 bis 1943 amtierte er als Vorsitzender des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes. In dieser Funktion war er ab 1938 vor allem mit der Hilfe für Flüchtlinge beschäftigt, während er zugleich alles tat, um nicht öffentlich in Konflikt mit der Schweizer Flüchtlingspolitik zu geraten. 1943 trat er von seinen Ämtern zurück um sich in der Folge verdeckten Aktionen der Flüchtlingshilfe zu widmen.